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Tianwen-1: Zielsetzungen hinter der ersten chinesischen Marsmission im Überblick

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Tianwen-1 (天问⼀号; Himmelserkundung-1)[1] ist die erste chinesische Marsmission. Sie hat einen technologisch-wissenschaftlichen Zweck und dient gleichzeitig zwei eindeutig politischen Zielsetzungen.

 

Eckdaten der Mission

Tianwen-1 ist insofern besonders, da noch kein Staat zuvor versucht hat, mit der ersten nationalen Marsmission gleichzeitig eine planetare Umkreisung mit einer Sonde sowie eine sanfte Landung und Inbetriebnahme eines Rovers auf einem Planeten auszuführen. Ein vormaliger Versuch der chinesischen Regierung im Rahmen der russisch geführten Phobos-Grunt-Mission, eine Sonde (Yinghuo-1; 萤火一号; Leuchtkäfer-1) in eine Marsumlaufbahn zu bringen, scheiterte 2011 aufgrund technischer Probleme der Trägerrakete nach deren Start.

Ingesamt umfasst Tianwen-1 eine Sonde, ein Landegerät und einen Rover. Wahrscheinlich werden diese gegen Ende Juli 2020 an Bord einer chinesischen CZ-5 (Changzheng-5; 长征五号; Langer Marsch-5) Trägerrakete vom chinesischen Weltraumbahnhof in Wenchang, Hainan Provinz (文昌航天发射场) starten. Den Mars werden sie voraussichtlich im Frühling 2021 erreichen. Die Sonde und der Rover sollen der weiteren Erforschung des Planeten dienen. Die Sonde verfügt über sieben wissenschaftliche Instrumente und wird in einer Marsumlaufbahn verweilen. Zudem wird sie eine Relaisfunktion zur Kommunikation mit dem Rover einnehmen. Letztgenannter wird von einem Landegerät sanft auf dem Planeten abgesetzt und ist mit sechs wissenschaftlichen Instrumenten ausgestattet. Einem Medienbericht zur Folge waren das Institut de Recherche en Astrophysique et Planétologie über die französische Weltraumagentur CNES (Centre national d’études spatiales) sowie das Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Entwicklung zweier wissenschaftlicher Instrumente der Mission beteiligt. Während der frühen Startphase der Trägerrakete wird die Mission außerdem Unterstützung von dem Bodenstationennetzwerk der ESA (European Space Agency; Europäische Weltraumagentur) erfahren. Die argentinische Weltraumagentur CONAE (Comisión Nacional de Actividades Espaciales) spielt anscheinend ebenfalls eine Rolle für die Mission, allerdings fehlen hierzu noch genauere öffentliche Angaben.

 

Feststellung der Zielsetzungen:

Die verfügbaren Informationen lassen auf mindestens drei Hauptzielsetzungen der chinesischen Regierung schließen:

Erstens soll Tianwen-1 dazu dienen, das technologische und wissenschaftliche Level in China sowie den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse weltweit weiter auszubauen. So bedingt diese aufwändige nationale Mission die Entwicklung und Nutzung hochkomplexer Technologien in China. Die Mission soll außerdem das wissenschaftliche Verständnis über verschiedene Bereiche verbessern, etwa die Formung, geologische und interne Struktur, Bodenzusammensetzung, Magnet- und Gravitationsfelder, Umwelt, Atmosphäre, Klimamerkmale und Wasser-Eis-Verteilung des Mars. Daneben kann die Erforschung des Planeten dabei helfen, Fragen nach der Existenz außerirdischen Lebens und der Evolution des Sonnensystems zu beantworten. Letztendlich könnte auch jedweder potentielle künftige Versuch einer bemannten Mission zum Mars und einer menschlichen Besiedlung anderer Himmelskörper von einem Wissensgewinn über diesen Planeten profitieren.

Zweitens hat die Mission eine nachvollziehbare innenpolitische Zielsetzung. Speziell ist die Mission der Legitimation des Herrschaftsanspruchs der KPCh (Kommunistische Partei Chinas) über ganz China dienlich. Schließlich zeigt sie der chinesischen Bevölkerung, wie hoch die technologische und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes unter der Herrschaft der KPCh ist. So hat es bisher nur wenige Staaten gegeben, die überhaupt Marsmissionen unternommen haben. Und nur die USA waren bisher erfolgreich mit der Landung und dem Betrieb von Rovern auf dem Mars. Diese Interpretation ist zusätzlich unterstrichen durch den Fakt, dass diese Mission den Mars in der ersten Hälfte des nächsten Jahres erreichen soll. 2021 will die KPCh ihr 100-jähriges Bestehen feiern und das erste ihrer zwei Jahrhundertziele erreichen, welche eng mit dem von Präsident Xi Jinping ausgerufenem „Chinesischen Traum“ in Verbindung stehen. Das erste Jahrhundertziel beinhaltet, allgemein übersetzt, die Schaffung einer chinesischen Gesellschaft mit in jeder Hinsicht bescheidenem Wohlstand – vornehmlich gemessen an sozioökonomischen und technologischen Gesichtspunkten.

Drittens soll die Mission sicherlich dazu beitragen, das internationale Ansehen und den internationalen Einfluss Chinas auszubauen. Eine erfolgreiche chinesische Marsmission würde der internationalen Gemeinschaft die rasante technologische und wissenschaftliche Entwicklung des Landes im Vergleich zu anderen Staaten klar vor Augen führen. China würde unübersehbar in einem weiteren Bereich zu den USA aufschließen, die, wie bereits erwähnt, bisher als einziges Land Rover funktionstüchtig auf dem Mars platzieren konnten. Regional gesehen würde China mit seiner komplexen Marsmission die international bestaunte frühere indische Marsmission übertrumpfen. 2014 gelang es Indien als erstem asiatischen Staat, eine eigene Sonde erfolgreich in die Marsumlaufbahn zu senden. Gleichzeitig war es das erste Land, dem dies beim ersten Versuch glückte. Die oben beschriebene – wenn auch im Umfang begrenzte – Zusammenarbeit mit argentinischen, französischen und österreichischen Einrichtungen sowie mit der ESA im Rahmen von Tianwen-1 können ebenfalls teils unter der hier genannten Zielsetzung verstanden werden. Eine mögliche Weitergabe von Forschungsdaten und -ergebnissen könnte zudem helfen, das Wohlwollen der betreffenden internationalen Forschungsgemeinschaft gegenüber China zu steigern.

 

Mehr Informationen verfügbar über folgende Links:

 

[1] „Tianwen“ soll scheinbar ab dieser Mission als Kennung für Chinas Forschungsmissionen zu anderen Himmelskörpern (wahrscheinlich mit Ausnahme der Mondmissionen) genutzt werden. Der Begriff geht auf ein Gedicht von Qu Yuan, einen berühmten Dichter der chinesischen Antike, zurück. Der Bedeutungsgehalt ist schwer direkt ins Deutsche übertragbar. „Himmelserkundung“ stellt bestenfalls eine Annäherung dar. Eine von chinesischer Seite vorgebrachte englische Übersetzung ist zum Beispiel „Questions to Heaven“.

 

Christoph Beischl, Research Fellow am London Institute of Space Policy and Law (ISPL)

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